von Jürgen Pranger
Gepostet am 18.11.2022
Jeder kennt die sogenannten „verletzungsanfälligen“ Spieler, die jedes Jahr nur einen Bruchteil der Saison fit sind, oder Mannschaften, die jedes Jahr vom „Verletzungspech“ geplagt werden. Verletzungen gehören zum Sport, wie das Amen zum Gebet, aber warum trifft das Verletzungspech oftmals immer die Gleichen? Kann von Verletzungspech überhaupt die Rede sein, oder ist dieser Umstand eher auf die Inkompetenz der Beteiligten zurückzuführen?
Das Verletzungsrisiko ist aufgrund der Charakteristik des Fußballs leider relativ hoch. Die meisten Verletzungen von Fußballspielern sind nicht durch einen hart geführten Zweikampf bedingt, sondern sind sogenannte „Non-Contact Verletzungen“ und wären somit zu einem großen Teil vermeidbar. Verletzungen können erhebliche physische, emotionale, psychosoziale und finanzielle Auswirkungen, sowohl für den Einzelnen als auch für das gesamte Team haben. Deswegen ist es für deinen Verein/ deine Mannschaft von größter Wichtigkeit, die Spieler fit und gesund zu halten, um optimal performen zu können. (Fulcher, 2019)
Leider liegt der Fokus des Trainerteams meistens nur auf taktisch-technischen Elementen, die Reduzierung von Verletzungen spielt im Verein meist eine untergeordnete Rolle. Verletzungen werden oftmals als nicht verhinderbar bzw. als Pech abgetan.
Verletzungen spielen aber eine große Rolle für den sportlichen Erfolg einer Mannschaft. Studien haben gezeigt, dass weniger Verletzungen mit einem besseren Abschneiden der Mannschaft in der Liga einhergehen! Gleichzeitig haben weniger Ausfälle positive Auswirkungen auf die Geldbörse des Vereins. Der Kader kann schlanker und somit preiswerter gehalten werden. (FIFA, 2020)
Insgesamt wird davon ausgegangen, dass sich in jeder Mannschaft zwei Drittel aller Spieler pro Saison eine Verletzung zuziehen und immer mindestens zwei Spieler aufgrund einer Verletzung ausfallen! (Tracktics, 2020) Meiner Meinung nach – viel zu hoch!
Betroffen sind dabei im Fußball am häufigsten die unteren Extremitäten, besonders das Knie und das Sprunggelenk. Hier handelt es sich in der Regel um Kreuzbandrisse im Knie und Bänderdehnungen oder -risse am Sprunggelenk. Allerdings sind auch Muskelzerrungen im Fußballsport weit verbreitet. (Tracktics, 2020)
Laut Analysen der VBG (2018) haben sich in der Saison 2015/16 80,5% der eingesetzten Fußballspieler aus der ersten und zweiten deutschen Bundesliga mindestens einmal verletzt, wobei sich 81%! Verletzungen ohne Einfluss eines Gegenspielers ergaben. In der Saison 2016/17 stieg die Anzahl der Verletzungen nochmal um 2,2%.
Freiwald et al. (2006) publizierte außerdem, dass Amateurspieler relativ zur Dauer der sportlichen Aktivität häufiger verletzt sind als die regelmäßig trainierenden professionellen Spieler. Weiter fällt auf, dass Spieler der Eliteligen im Vergleich zu den unteren Ligen weniger schwerwiegende Verletzungen erleiden.
Darüber hinaus zeigt sich das Überlastungsverletzungen aufgrund falscher Trainingssteuerung in den unteren Ligen signifikant zunehmen. (Loose et al. 2019)
Durchschnittliche Ausfalltage pro Spieler der Vereine der 1. Fußball-Bundesliga in der Saison 2019/2020
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In der obigen Statistik ist die Verletzungsproblematik in der deutschen Bundesliga gut erkennbar. Die Unterschiede zwischen den Vereinen sind dabei teilweise extrem hoch.
Einteilung von Verletzungen in Schweregrade (Kura, 2016)
Die Ursache von Verletzungen ist multifaktoriell. Deswegen müssen immer mehrere Faktoren berücksichtigt werden. Studien haben jedoch neben Vorverletzungen und einer inadäquaten Rehabilitationszeit, vor allem ein schlechtes Belastungsmanagement, als einer der Hauptverletzungsursachen angeführt. (Gabbett, 2016; Foster, 1998; Foster, 1994)
Überdies sind Spieler mit einer längeren Reaktionszeit, schlechter neuromuskulären Kontrolle, ungenügender Ausdauerleistung und einem ausschweifenden Lebensstil (Rauchen, Alkoholgenuss, wenig Schlaf) prädestinierter für Verletzungen (Ekstrand et al. 2011). Ein weiterer wichtiger Punkt, der bereits von Agre & Baxter (1987) sowie Ekstrand et al. (1983a) beschrieben wurde, ist das Problem eines unzureichenden Aufwärmprogrammes.
Übermäßige Ermüdung spielt eine Schlüsselrolle bei Sportverletzungen, da sie die Entscheidungsfähigkeit, Koordination und neuromuskuläre Kontrolle eines Spielers beeinträchtigt. (Soligard et al., 2016)
„Ermüdung ist der größte Feind eines Fußballspielers“ - Raymond Verheijen
Verheijen bezieht sich mit seiner Aussage auf das stark steigende Verletzungsrisiko eines Spielers, durch kumulierende Ermüdung. Werden die Athleten zu oft zu intensiv belastet, können sich die Strukturen im Körper nicht ausreichend regenerieren und das Verletzungsrisiko steigt stark an. Deswegen muss ein optimales Verhältnis zwischen Belastung und Erholung gewährleistet sein, um die Spieler konditionell zu entwickeln und gleichzeitig nicht zu überlasten (=optimales Belastungsmanagement).
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Außerdem darf während einer Trainingseinheit die externe Last die Kapazität des Athleten nicht übersteigen. Ist ein Spieler die Belastung nicht gewohnt und die externe Last übersteigt somit die vom Spieler tolerierte Belastung, kommt es ebenfalls zu einer Verletzung. Deswegen müssen die Spieler erst langsam an die gewünschte Belastung herangeführt werden.
Die meisten Verletzungen und Überlastungen treten auf, wenn:
Daraus folgt:
Einfache Gleichung: Leistung = Fitness – Müdigkeit
Hier wird von den meisten Trainern der Fehler begangen. Sie wollen, dass ihre Spieler so fit wie möglich sind und trainieren dementsprechend hart. Sie beachten dabei aber nicht die steigende Ermüdung der Spieler. Die Folge – die Leistung der Spieler am Platz nimmt deutlich ab und Muskelverletzungen und andere Überlastungsverletzungen steigen stark an.
Das Verhältnis zwischen Fitness und Müdigkeit eines Spielers kann durch das „Acute-Chronic-Workload-Ratio“ kurz ACWR dargestellt und beurteilt werden. Was das ACWR ist und wie du es in deinem Verein einsetzen kannst, werden wir in einem gesonderten Beitrag noch genau behandeln. In jedem Fall ist das ACWR für ein Belastungsmanagement im Verein essenziell.
Ein effektives Workload-Management-Programm hilft das Verletzungsrisiko stark zu verringern, indem Überlastungen der Spieler erkannt und vermieden werden. Jede Belastung bzw. jeder Trainingsreiz muss auf den jeweiligen Spieler abgestimmt werden. Nicht jeder Athlet toleriert die gleiche Belastung.
Belastung (oder Gesamtbelastung) ist die Kombination von sportlichen und nicht sportlichen Stressfaktoren. Last ist mehr als die Trainingslast allein und umfasst auch Arbeit, Freizeitaktivitäten, Hausaufgaben etc.
Belastung kann in zwei Unterkategorien unterteilt werden: externe Last und interne Last.
Externe Last:
Die externe Belastung ist der externe Reiz, der auf den Athleten ausgeübt wird (Soligard et al., 2016). Es ist die körperliche Arbeit (Anzahl der Sprints, bewegtes Gewicht, zurückgelegte Strecke etc.), die der Athlet während des Wettkampfs, des Trainings und des täglichen Lebens zurücklegt.
Interne Last:
Interne Belastung ist die individuelle physiologische und psychologische Reaktion des Körpers auf die externe Belastung (Puls, Laktat, Belastungsempfinden etc.). (Soligard et al., 2016)
Das bedeutet, dass zwei Spieler auf die gleiche externe Belastung (z.B.: 10 Kilometer laufen) ganz unterschiedlich reagieren können. Deswegen können Spieler, die das gleiche Training wie alle anderen in der Mannschaft absolvieren, trotzdem überlastet oder unterfordert sein.
Folglich muss du als Trainer wissen, wie deine Spieler auf die Trainingseinheiten reagieren (Puls, Belastungsempfinden, Muskelkater, schwere Füße etc.). Aus diesen Informationen kannst du dann erkennen, ob der gesetzte Reiz für einige Spieler zu stark oder vielleicht auch zu schwach war, und das Training anschließend für gewisse Spieler dementsprechend anpassen.
Logischerweise ist also die Erhebung von Belastungsdaten (Interne Belastung und/oder Externe Belastung) für eine optimale Trainingssteuerung bzw. für ein optimales Belastungsmanagement essenziell.
Das Verletzungsrisiko steigt also stark an, wenn die Belastung zu schnell bzw. sprunghaft gesteigert wird, ohne dass die Spieler auf die geforderte Belastung körperlich und psychisch vorbereitet wurden.
Wieso verletzt sich aber bei einer sprunghaften Belastungssteigerung Spieler A, aber Spieler B vielleicht nicht?
Wie schon zu Beginn erwähnt, sind die Ursachen einer Verletzung multifaktoriell und nie auf einen Faktor allein zurückzuführen – zumindest, wenn von „Non-Contact Verletzungen“ die Rede ist. Weitere wichtige Einflussfaktoren sind Alter, Vorverletzungen, Ausdauerleistungsfähigkeit, Rumpfstabilität, Beinstabilität, Ernährung, Schlaf, Gleichgewichtsfähigkeit und noch viele mehr.
Es könnte also sein, dass Spieler B eine bessere Rumpfstabilität und Gleichgewichtsfähigkeit als Spieler A hat und dadurch eine Belastungsspitze besser verkraftet.
Deswegen solltest du als Trainer die meisten verletzungsrelevanten Faktoren berücksichtigen und in das Training miteinbeziehen, um das Verletzungsrisiko der Spieler zu minimieren. Keine Angst, es klingt zwar mittlerweile alles sehr kompliziert und verwirrend, die Umsetzung ist jedoch mit dem nötigen Equipment bzw. Know-how aber leichter als gedacht.
Es gibt bereits entsprechende Hilfsmittel, die dem Trainer die Datenerhebung und Trainingssteuerung (Belastungsmanagement) erleichtern. Außerdem gibt es bereits bewährte Präventionsprogramme, die du mit deiner Mannschaft durchführen kannst, um das Verletzungsrisiko erheblich zu senken, ohne wertvolle Trainingszeit zu verschwenden.
Mit unserem kostenlosen Tool -Team Management System (TMS) - kannst du schnell und einfach Belastungs- und Regenerationsdaten von deinen Spielern erheben.
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Agre, J.C. & Baxter, T. L. (1987). Musculoskeletal profile of male collegiate soccer players. Archives of Physical Medicine Rehabilitation, 68(3), 147-
150.
Ekstrand, J. Gillquist, J., Möller, M., Oberberg, B. & Liljedahl, S.O. (1983a). Incidence of soccer injuries and their relation to training and team success.
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Ekstrand, J., Hägglund, M. & Waldén, M. (2011). Epidemiology of Muscle Injuries in Professional Footbal. American Journal of Sports Medicine, 39,
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FIFA (Hrsg.) (2020). FIFA Medical Diploma. Injury Prevention. https://www.fifamedicalnetwork.com/lessons/prevention-performance-enhancement/ (Zugriff am 3.10.2020)
Fulcher, M. (2019). Injury Prevention. FIFA Medical Diploma. https://www.fifamedicalnetwork.com/courses/injury-prevention/ (Zugriff am 1.10.2020)
Foster C et al. (1994). Athletic performance in relation to training load, Wis Med J., 95(6):370-4
Foster C. (1998). Monitoring training in players with reference to overtraining syndrome, Medicine & Science in Sports & Exercice, 1998.
Freiwald, J., Papadopoulos, C., Slomka, M., Bizzini, M. & Baumgart, Ch. (2006). Prävention im Fußballsport. Sportorthopädie - Sporttraumatologie, 22(3), pp. 140-150.
Gabbett TJ. (2016). The training—injury prevention paradox: should players be training smarter and harder?, Br J Sports Med,
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Impellizzeri FM et al (2004). Use of RPE-based training load in soccer, Med Sci Sports Exerc. 36(6):1042–1047
Kura, L. (2018). Das sind die häufigsten Fußballverletzungen. Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin. https://www.zeitschrift-sportmedizin.de/das-sind-die-haeufigsten-fussballverletzungen/ (Zugriff am 1.10.2020)
Loose, O., Fellner, B., Lehmann, J., Achenbach, L., Krutsch, V., Gerling, S., Jansen, P., Angele, P., Nerlich, M. & Krutsch, W. (2019). Injury incidence in semi-professional football claims for increased need of injury prevention in elite junior football. Knee Surgery, Sports Traumatology, Arthroscopy, 27(3), pp. 978-984.
Tracktics (Hrsg.) (2020). VERLETZUNGSPRÄVENTION IM FUSSBALL – VERLETZUNGEN GEZIELT VERMEIDEN. https://tracktics.com/verletzungspraevention-im-fussball-verletzungen-gezielt-vermeiden/ (Zugriff am 1.10.2020)
Statista (Hrsg.) (2020). Durchschnittliche Ausfalltage pro Spieler der Vereine der 1. Fußball-Bundesliga in der Saison 2019/2020. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/432371/umfrage/verletzungstabelle-der-vereine-in-der-1-fussball-bundesliga/#:~:text=Diese%20Statistik%20bildet%20die%20Anzahl,gab%20es%20bei%20Werder%20Bremen