von Gastautor
Gepostet am 12.2.2021
Spielintelligenz, Handlungsschnelligkeit, Entscheidungsfindung, Kreativität und 360° Spieler. Alles Begriffe, denen im Fußball zunehmend Bedeutung zugeschrieben wird. Dennoch hat sich ein individuelles kognitives Training im Fußball selbst im Profibereich bis dato noch kaum etabliert.
Während die Bereiche der Athletik und der fußballspezifischen Technik weit ausgereizt sind, sehen wir kognitive Fähigkeiten als jenen zusätzlichen Aspekt, der Spitzenspieler voneinander unterscheidet. Das Ziel besteht darin, durch kognitives Training Informationen schneller aufzunehmen, zu verarbeiten und dadurch optimale Entscheidungen zu treffen.
Einleitend gehen wir beispielhaft von einer klassischen Kontersituation aus. Balleroberung im Abwehrdrittel, schnelles Umschaltspiel und schaffen einer Überzahlsituation. Der ballführende zentrale Spieler entscheidet sich im Angriff für ein Zuspiel auf den mitlaufenden Außenspieler. Fehlpass, das Zuspiel wurde vom Verteidiger abgefangen. Der Spieler wird für seinen Fehler scharf kritisiert, alle waren sich einig und hatten hierfür eine einfache Erklärung parat: Der Spieler hätte in dieser Situation die falsche Entscheidung getroffen.
Angekommen beim Stichwort Spielintelligenz, einem Begriff, der im Fußball aktuell in aller Munde ist. Worauf er abzielt? Vereinfacht gesagt auf die Vermeidung individueller Fehler, nämlich durch die Auswahl der „richtigen Entscheidung“. Dabei ist es uns wichtig anzumerken, dass es unserer Meinung nach nicht die eine richtige Entscheidung gibt. Vielmehr geht es darum, eine maximale Anzahl zielführender Lösungen zu schaffen, um daraus die effizienteste Entscheidung treffen zu können.
Eine falsche Entscheidung geht zumeist mit einem negativen Ausgang einher. Das was Trainer, Mitspieler, Analysten und auch Spieler selbst im Nachhinein ohne großen Aufwand erkennen, ist das Produkt der Handlung. Wie kommt diese aber zustande? Warum hat sich der Spieler „falsch“ entschieden? Hatte er die Bewegung vom Verteidiger schlecht antizipiert? Hatte er die ursprünglichen Ausgangspositionen der Mit- und Gegenspieler vor dem Konter nicht in seinem Arbeitsgedächtnis abgelegt und konnte diese deshalb nicht abrufen? Oder hatte er seinen anderen Mitspieler gar nicht wahrgenommen und deshalb gar keine andere Lösung vor Augen?
Es steckt in jedem Fall mehr dahinter, als schlicht die „falsche Entscheidung“ getroffen zu haben.
Im Allgemeinen werden Kognitionen als höhere geistige Funktionen und Prozesse definiert, die benötigt werden, um in bestimmten Situationen adäquate Lösungen zu generieren. Fußballspezifisch muss hierbei erwähnt werden, dass Dinge aufgrund der Vorerfahrung bereits im Gedächtnis abgelegt sind und Situationen deshalb ebenso unbewusst Aufmerksamkeit geschenkt wird und diese auch unbewusst antizipiert werden. Aus der unbewussten und bewussten Generierung einer bestimmten Anzahl an Lösungen entscheiden sich Spieler dann entweder für die ihrer Wahrnehmung nach beste Möglichkeit, oder auch für eine kreative Lösung (Memmert, 2019).
Die graphische Darstellung von einer Situation bis hin zu deren Lösung veranschaulicht die zentralen kognitiven Fähigkeiten, welchen Handlungen im Fußball zugrunde liegen. Dabei müssen nicht zwangsweise alle kognitiven Phasen durchlaufen werden (Memmert, 2013).
Wie anhand der obigen Abbildung zu erkennen, sind alle Phasen von der Situation bis hin zur Lösung, als kognitive Leistungsfaktoren anzusehen. Ein Spieler nimmt eine Situation wahr und versucht dann möglichst viel vorherzusehen, antizipiert also den weiteren Verlauf. Durch eine gesteigerte Wahrnehmung und eine breite Aufmerksamkeitsspanne erhält der Spieler eine maximale Anzahl an Optionen. Im Idealfall führen die vorangegangenen Prozesse zu einer spielintelligenten Handlung, also zur „richtigen Entscheidung“, oder aber auch zu einer kreativen Idee. Spielintelligenz und Kreativität sehen wir als Produkt gut ausgebildeter kognitiver Fähigkeiten an, für die Phasen der Antizipation, Wahrnehmung und Aufmerksamkeit können jedoch konkrete Praxisbeispiele herangezogen werden.
Im Fußball ist es erforderlich, Geschwindigkeit, Distanz oder Zeit abzuschätzen. Durch das Schätzungsvermögen werden Flugbahnen und die zukünftige Position eines Balles antizipiert.
Wie schnell kommt der Ball auf einen Spieler zu, wie weit ist der Ball entfernt oder wie lange wird es dauern, bis das Zuspiel einen Spieler erreicht?
Hierfür werden Informationen über die Augen aufgenommen und anschließend im Gehirn berechnet, um den weiteren Verlauf zu ermitteln.
Eine Studie (Williams, Ward, Smeeton & Allen, 2004) konnte nachweisen, dass sich die sportartspezifische Antizipationsfähigkeit auch entwickeln lässt, ohne dass dabei eine sportartspezifische Bewegungstechnik erforderlich ist. Dies kann durch isoliertes Wahrnehmungstraining geschehen und hat den Vorteil, es eigenständig ohne körperliche Belastung oder auch verletzt durchführen zu können.
Um bestmögliche Entscheidungen treffen zu können, müssen Spielsituationen im Fußball exakt erfasst werden. Das Erkennen der Anzahl an Mit- und Gegenspielern, freie Räume und Abstände sind alles Aspekte, die der Wahrnehmung zuzuordnen sind. Generell dienen Wahrnehmungsprozesse dem Erhalt von Informationen. Diese werden über die Sinne aufgenommen und anschließend in die Umwelt eingeordnet. Als wesentlichster Faktor ist die visuelle Wahrnehmung einzustufen (Memmert, 2019).
Die Wahrnehmungsstrategien eines Spielers lassen sich anhand von Analysen der Blickbewegungen untersuchen. Eine aktuelle Studie (Jordet et. al, 2020) untersuchte aktive Kopfbewegungen (weg vom Ball) von Premier League Spielern und beschreibt die Wichtigkeit des Zeitpunkts des visuellen Scannens. Der optimale Zeitpunkt für einen Spieler, um sein Umfeld durch Körper- und Kopfbewegungen nach Informationen zu durchsuchen, sei zwischen oder direkt nach den Ballkontakten des Mitspielers, nicht aber währenddessen.
Auch wenn die kognitiven Prozesse der Aufmerksamkeit und der Wahrnehmung miteinander einhergehen, lohnt es sich auch diese Phase der Entscheidungsfindung differenziert zu betrachten. Im Fußball werden adäquate Aufmerksamkeitskompetenzen benötigt, um komplexe Herausforderungen situationsspezifisch zu lösen. Als Spieler wird man mit einer Menge an Reizen konfrontiert. Das Arbeitsgedächtnis ist jedoch begrenzt, daher können Spieler auch in der Theorie nicht alle eingehenden Reize vollständig verarbeiten. Um bestmöglich zu entscheiden, gilt es die Aufmerksamkeit effizient zu lenken und weniger relevante Informationen auszublenden.
Die Gliederung der Aufmerksamkeit in vier Subprozesse liefert anhand von praxisbezogenen Beispielen einen Überblick hinsichtlich der fußballspezifischen Anforderungen (Furley & Memmert, 2009)
Anfangs erfassen wir mithilfe unseres wissenschaftlich fundierten Testsystem kognitive Fähigkeiten, unter anderem die beschriebenen Aspekte der Wahrnehmung, Aufmerksamkeit und Antizipation. Dies dient uns als Grundlage für ein individuelles Training mit Fußballern. Zwar lassen sich kognitive Reize im Rahmen von Spielformen auch ins Mannschaftstraining einbauen, dennoch empfiehlt sich eine zusätzliche wöchentliche Einheit über einen längeren Zeitraum.
Vor allem im Fußball lassen sich kognitive Fähigkeiten nicht pauschal trainieren, sondern sind individuell auf das Anforderungsprofil des Spielers anzugleichen. So arbeiten wir beispielsweise mit einem Tormann vermehrt im Bereich der Reaktionsfähigkeit, mit einem Innenverteidiger in der Zeit- und Bewegungsantizipation und mit einem zentralen Spieler im Bereich der peripheren Wahrnehmung.
In vielen Bereichen hingegen liegt positionsunabhängig viel Potential. Unter Miteinbeziehung des Arbeitsgedächtnisses ist es erforderlich, Information kurzfristig abzuspeichern und diese schnellstmöglich zu verarbeiten. Dadurch lassen sich neben der Verarbeitungsgeschwindigkeit sowohl Aufmerksamkeit als auch Konzentrationsfähigkeit schulen. Die Bedingung, aufgrund zusätzlicher kognitiver Reize über die gesamte Einheit absolut fokussiert zu trainieren, geht automatisch mit Verbesserungen in den Bereichen der Technik, Koordination und Athletik einher.
Mittels gezieltem Visualtraining und dem Einsatz von visuellen Hilfsmitteln verfolgen wir das Ziel, das Gesichtsfeld von Spielern zu erweitern. Durch die verbesserte periphere Wahrnehmung und eine bewusste Vororientierung werden im Fußball mehr Lösungen für bestimmte Situationen generiert.
Besonderen Wert legen wir auch auf die visuelle Informationsverarbeitung. Im Fußball gilt es durch das visuelle Scannen bestimmte Räume zu erkennen, um Mitspieler, Gegenspieler oder den Ball zu erfassen. Diese Fähigkeit ermöglicht es, über das visuelle System genau das aus der Umgebung zu filtern, was für die Entscheidungsfindung relevant ist. Viele Trainer fordern den Schulterblick ein, diesen aber ohne bewusste visuelle Aufgabenstellungen zu trainieren, wird unter Wettkampfbedingungen nicht zum erwünschten Erfolg führen.
Auch wenn die Anzahl wissenschaftlicher Studien zu diesem Thema noch überschaubar ist, so scheint uns der Ansatz logisch, Entscheidungsprozesse genauer zu hinterfragen. Die Schulung kognitiver Fähigkeiten erhöht unserer Meinung nach die Chance enorm, als Spieler mehrere Lösungen zu schaffen und demnach möglichst selten die obligate „falsche Entscheidung“ zu treffen.
PS: Aus Gründen der Lesbarkeit wurde im Text die männliche Form gewählt, nichtsdestoweniger beziehen sich die Angaben auf Angehörige beider Geschlechter.
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Über die Autoren Mag. Simon Mogg & Philipp Albrecht, BSc
Die beiden Absolventen des Instituts für Sport- und Bewegungswissenschaften in Graz bieten seit Oktober 2020 individuelles sportartspezifisches Training im Bereich der Kognition, Koordination, Technik und Athletik an. Durch ihre Tätigkeit im Leistungsfußball begannen sie kognitives Training in den herkömmlichen Trainingsplan zu integrieren und erkannten das darin liegende Potenzial.
cogni.skill sports OG
Kognitives Training & Diagnostik
Kastellfeldgasse 8, 8010 Graz (ATG Graz)
www.facebook.com/cogni.skill.sports
Furley, P. & Memmert, D. (2009). Aufmerksamkeitstraining im Sportspiel. Leistungssport ,3, 33-36.
Jordet G, Aksum KM, Pedersen DN, Walvekar A, Trivedi A, McCall A, Ivarsson A, Priestley D. Scanning, Contextual Factors, and Association With Performance in English Premier League Footballers: An Investigation Across a Season. Front Psychol. 2020 Oct 6;11:553813. doi: 10.3389/fpsyg.2020.553813. PMID: 33123039; PMCID: PMC7573254.
Memmert, D. (2019). Fußballspiele werden im Kopf entschieden. Aachen: Meyer & Meyer Verlag.
Memmert, D. (2013). Leistungsfaktoren im Sportspiel. In A. Güllich & M. Krüger (Hrsg.), Sport – Das Lehrbuch für das Sportstudium (S.561-562). Berlin: Springer Verlag.
Williams, A. M., Ward, P., Smeeton, N.J. & Allen, D. (2004). Developing anticipation skills in tennis using on-court instruction: Perception versus perception and action. Journal of Applied Sport Psychology, 16, 350-360.